[GROSS-] PROJEKTE, DIE DIE WELT NICHT BRAUCHT

DAS FRANZÖSISCHE KENNT DEN SCHÖNEN BEGRIFF DER «GRAND PROJETS INUTILES», DER UNNÖTIGEN GROSS PROJEKTE.

In Österreich gibt es dafür zwar kein Wort, aber Beispiele zuhauf. Eine Handvoll davon haben wir uns genauer angeschaut.
Wussten Sie, dass der Huchen der größte der mitteleuropäischen Salmoniden ist? Und dass jede Würfelnatter einen einzigartig und unverwechselbar gemusterten Bauch hat? Kennen Sie den schmalen Grat zwischen Steuergeldverwendung und Steuergeldverschwendung?
Und haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie viel CO2 die Herstellung von Beton braucht, der in einem Kraftwerk verarbeitet wird, das wiederum CO2 einsparen helfen soll? Auf diese und viele andere Fragen haben wir Antworten
gesucht.
omas
Allerdings unter harschen Bedingungen! An jedem Tag, den wir an dieser Sonderbeilage gearbeitet haben, ist, wie Wolf Haas sagen würde, «schon wieder was passiert». Kaum hat Kollegin Bachinger den Text zur 3. Piste in Schwechat abgeschlossen, wurde bekannt, dass gegen die Richter ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der Verbund entschied sich, noch bevor alle Interviews fertig transkribiert waren, für einen Einstieg in die Errichtergesellschaft der Staustufe Puntigam, während sich die Grazer Stadtregierung bis zum Anlaufen der Druckerpresse nicht erweichen ließ, sich zu bilden.
So sind auch diese acht Seiten nicht mehr als das, wogegen sie wettern:
eine Großbaustelle. Allerdings eine, die die Welt braucht.

DIE WÜRFELNATTER IM STEUERKARUSSELL

«Wir brauchen des ned», fasst Christine Barwick von der Bürger_inneninitiative Rettet die Mur das Problem zusammen. In ihrem Geschäft in der Grazer Innenstadt liegen Flyer auf, die zur Demonstration einladen.
Eine Kundin kommt herein: «Was gibt’s Neues an der Kraftwerksfront?»

HUCHEN UND STEUERN

Worum geht es, wenn wir von der Staustufe Puntigam sprechen? Um Fische und Nattern, um freie Fließstrecken, Naherholung und Kajakrouten. Um Zeitungsinserate und Subventionen, Kredite und öffentliche Gelder, die im Kreis fl ießen. Um Baufirmen, Beton und CO2, um Feinstaub und ein fehlendes Verkehrskonzept. Um Energieverschwendung und Verschwendung von Steuergeldern. Um Korruption? Um ein Volksbegehren, das nicht stattfindet, und eine Regierung, die wegen eines Speicherkanals in die Brüche geht. Um Immobilienbesitz an der Mur und um eine spezielle Immobilie, die unter der Erde verschwunden ist: das NS-Zwangsarbeitslager Liebenau. Kurz: ums Ganze.
Sehen wir uns ein paar Details an und beginnen der Sympathie halber beim Huchen. Ein riesiger Fisch – der größte der mitteleuropäischen Salmoniden, wie mir beim Arbeiterfi schereiverband erklärt wird, Fisch des Jahres 2012 und Maskottchen der Kraftwerksopposition. Sein erbittertster Verteidiger ist der Huchenfranz (s. Seite 3), für den klar ist: Wird die Staustufe gebaut, stirbt der Huchen in der Mur aus. Vom Huchen aus kann man verschiedene Wege einschlagen: zum Beispiel zur Würfelnatter, die auf der Roten Liste geschützter Tierarten steht und trotz UVP-Aufl age nicht vor dem Tod durch Baumrodung gerettet wurde. Rund 800 Nattern hätten, juristisch gesehen, abgesammelt werden müssen – auf die Frage, warum es nur 84 geschafft haben, sagte der Interviewpartner der Energie Steiermark (EStAG) zur «Kleinen Zeitung», es wären 700 Tiere gerettet worden – bloß, welche Tiere? «Wahrscheinlich Blindschleichen und Regenwürmer», meint Romana Ull vom
Naturschutzbund unwirsch.

MEDIEN UND FEINSTAUB

Apropos «Kleine Zeitung»: Die berichtet beinahe täglich vom Murkraftwerk, seinen Gegner_innen und vor allem seinen Vorteilen. Ein Schelm, wer denkt, solcher Journalismus entbehre der Unabhängigkeit. Rund 200.000 Euro jährliche Inseratensumme halte die EStAG für Regionalmedien bereit, meint Clemens Könczöl,
Sprecher der BI Rettet die Mur, und überschlägt: «Das sind die Stellen von fünf Journalisten.»
Aus dem Büro des EStAG-Unternehmenssprechers sind so schnell keine Angaben zu bekommen, man könne das so nicht sagen, das sei schwierig, müsse aufgeschlüsselt werden, kurzum: Die Zahlen werden nicht rausgerückt, und in Graz gibt es keine relevante kritische Berichterstattung über die Kraftwerkspläne.
Was Graz zugunsten des Kraftwerksneubaus auch aufgibt, ist sein Naherholungsgebiet. Die Murböschungen sind ein unregulierter Freiraum, wie er in großen Städten selten geworden ist. «Vor allem für die, die es sich nicht leisten können, in schicke Wochenendhäuser zu fahren.», sagt Romana Ull. Jetzt sind die Böschungen vom Puchsteg stadtein und stadtauswärts kahlgerodet.
Auf die übriggebliebenen Bäume hat jemand ein bisschen pathetisch «Hilfe» gesprüht. 16.000 Bäume soll es insgesamt treffen – in einer Stadt, die ein dezidiertes Feinstaubproblem hat, eine selten schlechte Idee. Bei solchen Rodungsmaßnahmen noch von Green Energy zu sprechen, bedarf einer gewissen Chuzpe.

GESPARTER STROM, NEUER STROM

Warum aber überhaupt ein neues Kraftwerk? Die Staustufe Puntigam soll das Äquivalent von vier Tagen steiermarkweiter Stromversorgung pro Jahr produzieren, zu einem Preis von 1,52 Euro/kWh – laut Wirtschaftlichkeitsstudie (Auftrag: WWF, Datensatz: EStAG) überproportional teurer Strom. «Windenergie wäre eine sinnvolle Alternative.», sagt Steven Weiss, Gewässerökologe an der Universität Graz.
«Noch besser aber kann man mit dem Geld, das hier ausgegeben wird, unzählige Gebäude sanieren und so die Energie einsparen, die mit dem Kraftwerk erst produziert würde.» Der Grüne Nationalratsabgeordnete Werner Kogler, der die Staustufe gern vom Rechnungshof geprüft sehen würde präzisiert:
«Im Großraum Graz gibt es mehrere zehntausend E-Heizungs-Anschlüsse, das ist, als würde man mit Kreissägen Butter schneiden: ein energiewirtschaftliches Verbrechen.»
Wasserkraft, sind sie sich einig, ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie ist nicht grün, nicht wirtschaftlich – und in diesem Fall auch gar nicht notwendig. «Man kann auch mit einem unwirtschaftlichen Projekt Gewinn machen», kommentiert Könczöl: «Wenn die Verluste der öffentlichen Hand zugeschoben werden und die Gewinne dem Unternehmen.»

KANALSKANDAL

Wenden wir uns also der interessantesten Frage zu: dem Geld. Finanziell brisant wird die Staustufe erst durch das Projekt «Zentraler Speicherkanal». Graz hat, wie die meisten europäischen Städte, ein Mischwassersystem; Regen- und Haushaltsabwässer fl ießen in den Kanal. Bei Starkregen ist die Kanalisation überlastet, das Wasser wird unter anderem in die Mur geleitet. Für einen schnellfließenden Fluss kein Problem. Steht das Gewässer aber, weil es gestaut wird, so spielt sich bei Hochwasser ein Fäkaliendrama ab. Darum müssen im Fall einer Staustufe entsprechende technische Maßnahmen ergriffen werden. Ob das ein Speicherkanal sein muss, ist nicht gesagt.
Fällt die Entscheidung für den Speicherkanal, der also nur wegen des Kraftwerks nötig wird, – ist er dann Teil des Staustufenprojekts? In diesem Fall müsste er von der Errichtergesellschaft finanziert werden. Zahlt die Stadt, erhebt sich der Verdacht der Quersubventionierung. Der Bau des Speicherkanals wurde im Grazer Gemeinderat beschlossen – seine Finanzierung aber nicht. An der Uneinigkeit darüber, ob und in welcher Höhe die Stadt die Kosten tragen soll, ging die Regierung in die Brüche. Bis zu Redaktionsschluss gab es noch keine neue Stadtregierung, allerdings wurde Günter Riegler, ehemaliger Direktor des Stadtrechnungshofs, bereits zum Finanzstadtrat gekürt.

BILDUNG VS. BETON

Lösungen für die Abwasserfrage lägen, so ein Mitarbeiter des Stadtbauamtes, der namentlich nicht genannt werden möchte, eher bei Dachbegrünungen, die Regenwasser aufnehmen könnten, «als bei sündteuren Kanalprojekten». Der erste Kanalabschnitt wird mit rund 84 Millionen Euro beziffert – das ist noch einmal so viel wie das ganze Kraftwerk nach heutiger Berechnung kosten soll –, wird er durch die ganze Stadt gebaut, erhöhen sich die Kosten auf rund 120 Millionen.
«Die Finanzierung ist nur über eine zusätzliche Verschul- dung möglich», sagt Clemens Könczöl. «Natürlich fehlt das Geld dann an anderer Stelle, und natürlich hat Graz ganz andere Bedürfnisse: Bildung zum Beispiel oder Gesundheit.»
Oder ein Konzept für den öffentlichen Nahverkehr, meint die Grüne Gemeinderätin Andrea Pavlovec-Meixner: «Das wär bedeutend sinnvoller, als für einen Energiekonzern einen Speicherkanal zu bauen.»
Dass hier «für einen Energiekonzern» gebaut wird, den Eindruck teilen die meisten, die gegen das Kraftwerk opponieren. Oder für die Bauwirtschaft. «70.000 Kubikmeter Beton werden für den Kraftwerksbau gebraucht», sagt Steven Weiss, «und die Herstellung davon erzeugt 70.000 Tonnen CO2». Bauen wird die Firma Porr, und die wird sich wohl alle Finger abschlecken, wenn sie zum Kraftwerk noch einen Speicherkanalauftrag geschenkt bekommt. Die Porr wird auch als naglWunschpartnerin in der Errichter- und Betreibergesellschaft gehandelt, ist aber bisher nicht eingestiegen. Anteile haben nur der EStAG Konzern selbst, der Verbund (12,5 %) und die Holding Graz (12,5 %). Auch die Wien Energie fällt im
Gespräch mit Mitarbeitern des EStAG-«Dialogbüros» als potentielle Mitbetreiberin, Unternehmenssprecher Boris Kaspar (Wien Energie) lässt sich nur entlocken, es gebe «noch keine Entscheidung, die wir in der Öffentlichkeit kommunizieren».

GEWINN ÜBER DIE FÖRDERSCHIENE

Welchen Gewinn kann sich die EStAG erhoffen?
Laut zitierter Wirtschaftlichkeitsstudie erst einmal keinen direkten aus der Energieproduktion. Es gibt aber verschiedene Förderschienen, über die sie die Investitionskosten massiv drosseln kann: «Sie bekommt Ökostromförderung vom Bund, erhält über die Stadt Graz eine Sonderförderung vom Land Steiermark über 7 Millionen Euro und bekommt zusätzlich eine Förderung in Form eines zinsgestützen Kredits über 13 Millionen.», sagt Könczöl und findet, man könne sich das juristisch durchaus genauer ansehen.
Ein so billig vergebener Kredit könnte als «besonderer Vorteil zum Nachteil Dritter, also der Steuerzahler_innen in Graz» gewertet werden, so Kogler. Dazu kommt eine mögliche Bundesförderung in Höhe von 13 % der Errichtungskosten von Kanalbauten. Um explizit zu sein: Die 7 Millionen Euro, von denen Könczöl spricht, sind eine Landesförderung, die ursprünglich an die Stadt Graz ging. Zeitgleich hat sich der Kostenanteil am Zentralen Speicherkanal, den die Errichtergesellschaft übernehmen sollte, von 20 auf 13 Mio. Euro reduziert; das spricht dafür, dass die Förderung an die EStAG weitergereicht wurde. Verzichtet die Stadt auf die Förderung, wird ihr Anteil in Relation teurer – und damit das Stadtbudget höher belastet als nötig. «Insgesamt ein riesiges Förderkarussell zum Schaden der Steuerzahler_innen», kommentiert Kogler.

ES GÄRT IN DER MUR

Trotz negativer Bescheide im UVP-Verfahren wurde der Bau wegen «übergeordnetem öffentlichem Interesse» nach §104a Wasserrechtsgesetz genehmigt. Wird Steuergeld für ein Projekt eingesetzt, dass nur Privaten dient und keineswegs dem öffentlichen Interesse, das jedoch rechtliche Grundlage für die Baugenehmigung ist? Gibt es Immobilieninteressen, die mittels staustufenbedingter «Stadtentwicklung» zum Zug kommen? Und – um die eigene Branche nicht ganz auszulassen – hätte Graz nicht bitter unabhängige Medienberichterstattung nötig?
Schwer übersehbar ist jedenfalls, dass es im abgelagerten Schlamm der Mur heftig gärt. Zu Tage zu befördern, ob es sich um Steuergeldverschwendung oder handfeste Korruption handelt, wird Aufgabe der Rechnungs- und diverser Gerichtshöfe sein. Sich für eine sinnvolle Verwendung des eigenen Stadtbudgets stark zu machen – via Volksbefragung oder Baggerbesetzung –, obliegt den Grazer_innen. Steven Weiss ist der Überzeugung, «dass die Bevölkerung solche Projekte stoppen kann», wenn es ihr gelingt, gemeinsam zu agieren. Und auch Christine Barwick bleibt zuversichtlich: «Wir wachsen, wir werden stärker.»
«Andritz liefert Wasserturbinen und Generatoren für das neue Murkraftwerk in Graz», war Anfang Februar auf der Homepage des Unternehmens zu lesen, das seinen Hauptsitz im gleichnamigen Bezirk der steirischen Landeshauptstadt hat. Das Murkraftwerk ist höchst umstritten, aber das dürfte dem Management der Andritz AG wenig Sorgen bereiten, denn Protest und Widerstand sind für den Weltmarktführer in der Ausstattung von Wasserkraftwerken und Zellstoff- und Papierfabriken «business as usual».

BLOCKADE, STREIK & MONOKULTUR

Das «business» an sich betreiben die Andritzer_innen mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Leitner, der es mit einem geschätzten Vermögen von 1,6 Milliarden Dollar als einer der wenigen Österreicher_innen auf die Liste der Milliardär_innen des Forbes-Magazins geschafft hat, recht erfolgreich. Weltweit werden rund 25.000 Menschen beschäftigt. Der Jahresumsatz konnte auf über sechs Milliarden Euro gesteigert werden und der jährliche Gewinn lag in den letzten Jahren immer deutlich über 200 Millionen Euro. Fast immer, denn im ersten Quartal des Jahres 2013 brachen die Gewinne um 92 (!) Prozent ein und die Aktie verlor ein Viertel ihres Werts.
Eine wesentliche Ursache für diesen Absturz waren die «Probleme» rund um die Errichtung des Zellstoffwerks Montes del Plata im uruguayischen Dörfchen Conchillas am Rio del Plata, nahe an der Grenze zu Argentinien, das mit einem Volumen von 750 Millionen Euro als größter Auftrag in der Unternehmensgeschichte gefeiert wurde. Andritz sollte nicht nur die Anlagen liefern, sondern wurde als Generalunternehmer beauftragt. Die Arbeiter_innen auf der Baustelle setzten sich jedoch gegen die  schlechten Arbeitsbedingungen zur Wehr, traten mehrmals in Streik und marschierten bis nach Montevideo, um auf der Plaza Independencia ihre Protestzelte aufzuschlagen. Nach einem tödlichen Arbeitsunfall blockierten die in der Baugewerkschaft Sunca organisierten Hackler_innen die Zufahrtsstraßen und besetzten die Baustelle. Andritz musste viel Zeit und eine Menge Geld aufwenden, um das Projekt doch noch zum Abschluss zu bringen. Die Proteste gingen aber über die Arbeitsbedingungen hinaus, denn nicht nur die Zellulosegewinnung selbst hat verheerende ökologische Folgen, sondern die dafür notwendigen Eukalyptus Monokulturen verändern das Land nachhaltig. Montes del Plata ist mit 234.000 Hektar mittlerweile einer der größten Grundbesitzer Uruguays und die Bodenpreise haben sich innerhalb weniger Jahre versechsfacht. Der uruguayische Aktivist und Theoretiker Raúl Zibechi kritisiert, dass sich die linke Regierung – wie in anderen
lateinamerikanischen Ländern auch – ganz dem Extraktivismus verschrieben hat und Bergbau und Agroindustrie trotz ihrer üblen Auswirkungen weiter fördert.

BELO MONTE – ILISU – MUR

Andritz ist aber beileibe nicht nur in Uruguay aktiv. Die Proteste gegen das Staudammprojekt «Belo Monte» im Amazonas haben durch Erwin Kräutler, den aus Österreich stammenden Bischof der betroffenen Region, sogar hierzulande für Schlagzeilen gesorgt. Die Aufstauung des Rio Xingu hat den Lebensraum zehntausender Indigener zerstört. Vertrieben werden aber auch die Menschen rund um den Ilısu-Staudamm in der Türkei, der ohne Andritz vielleicht gar nicht gebaut werden würde; es waren die Andritzer_innen, die, nachdem einige Vertragspartner aufgrund von Protesten abgesprungen sind, freimütig zusätzliche Aufträge übernahmen.
In Graz selbst fristet die Andritz AG ein eher unauffälliges Dasein und öffentliche Kritik vernimmt man nur selten. Das könnte sich mit ihrem neuesten Projekt an der Mur in Zukunft ändern.
Leo Kühberger ist Historiker und lebt in Graz.
Im Februar 2017 hat er Uruguay bereist.
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